LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN – 18. Wahlperiode – Drucksache 18/8108 – 20.02.2024
Antrag
der Fraktion der CDU
der Fraktion der SPD
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
der Fraktion der FDP
- I. Ausgangslage
Vor zwei Jahren begann der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die gesamte Ukraine. Es war die Eskalation eines Konflikts, der seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 andauert. Seitdem haben tausende Menschen in diesem Krieg ihr Leben verloren. Ukrainische Zivilistinnen und Zivilisten wurden Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen. Die Bilder aus Butscha sind uns im Gedächtnis geblieben. Tau- sende ukrainische Kinder wurden ihren Eltern entzogen und nach Russland verschleppt. Mil- lionen Menschen mussten aus ihrer Heimat fliehen. Diejenigen, die geblieben sind, leiden auch unter den Folgen der russischen Angriffe auf zivile Infrastruktur. Dennoch hat die Ukraine aus eigener Kraft, auch dank westlicher Waffenlieferungen, den russischen Vormarsch aufgehal- ten und im Herbst 2022 illegal besetzte Teile ihres Landes zurückgewonnen. Doch nun steht das Land zu Beginn des dritten Kriegsjahres an einer entscheidenden Wegscheide.
Gegenwärtig vollzieht sich ein brutaler Abnutzungskrieg. Russland schickt ohne Rücksicht auf Verluste Soldaten in den Kampf und wird von gleichgesinnten Autokratien aus aller Welt mit Waffen und Munition beliefert. Angesichts der finanziellen Lasten und der in absehbarer Zeit leeren Waffen- und Munitionsdepots sieht sich die Ukraine mit einem potenziellen Szenario konfrontiert, in dem die Solidarität westlicher Gesellschaften besonders wichtig ist. Der Krieg im Nahen Osten sowie der schwelende Konflikt mit China, der sich an der Taiwan-Frage zu einem weiteren Krieg entzünden könnte, wird vor allem die Vereinigten Staaten in erhöhtem Maße fordern. Zudem stehen dort im November 2024 die Präsidentschaftswahlen an. Der Ausgang der Wahl wird auch für die Zukunft der Ukraine-Hilfen der USA entscheidend sein.
Russland wittert die Möglichkeit, die Ukraine unter diesen Umständen militärisch unterwerfen oder ihr einen Diktatfrieden aufzwingen zu können. Es ist nicht nur eine moralische Pflicht, die Ukraine nach all den Solidaritätsbekundungen des Westens nicht ihrem Schicksal zu überlas- sen, sondern auch im ureigenen Interesse Europas, sich einer solchen Entwicklung entschie- den entgegenzustellen. Eine von Russland gänzlich oder in Teilen besetzte Ukraine wäre nicht nur eine massive Verletzung des Völkerrechts und des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine, sondern wäre auch eine ernsthafte Bedrohung für die Sicherheitslage in Europa. Zudem würde ein russischer Erfolg in Moskau die Überzeugung festigen, dass sich außenpolitische Interessen mit militärischer Gewalt durchsetzen lassen. Dies ist für die Europäische Union nicht hinnehmbar, die auf völkerrechtlichen Grundsätzen und unteilbaren Werten wie Demo- kratie und Rechtsstaatlichkeit beruht. Damit ist das Schicksal der Ukraine auch unser Schick- sal – es geht um die Freiheit, den Frieden, und die Sicherheit unseres Kontinents. Es geht um den Erhalt unserer völkerrechtlich verbrieften Friedensordnung.
Die Mehrheit der Menschen in Europa – von Ost bis West – wünscht sich eine offene Gesell- schaft und ist tief verwurzelt in der proeuropäischen, demokratischen Tradition. Teil der demo- kratischen europäischen Tradition ist eine enge Zusammenarbeit, auch auf regionaler Ebene. Diese gilt es zu stärken, insbesondere auch die französisch-deutsch-polnische Zusammenar- beit im Weimarer Dreieck und die neu begründete regionale Partnerschaft Nordrhein-Westfa- lens mit der ukrainischen Oblast Dnipropetrowsk.
Uns war und ist wichtig, unsere Unterstützung gezielt, wirksam und langfristig zu leisten. Daher hat sich Nordrhein-Westfalen auf Basis einer Initiative der Landtagsfraktionen von CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP auf den Weg gemacht, im Februar 2023 eine Re- gionalpartnerschaft mit der Oblast Dnipropetrowsk zu begründen. Parallel zur humanitären Hilfe nehmen wir nun zunehmend in den Blick, wie wir beim Wiederaufbau vor Ort unterstützen können. Dafür hat die Landesregierung im September 2023 ein Förderprogramm für kommu- nale und gesellschaftliche Wiederaufbauprojekte aufgelegt. Das Programm hat mehrere nord- rhein-westfälische Kommunen dazu bewegt, Partnerschaften mit Kommunen in Dnipropet- rowsk zu begründen. Inzwischen bestehen sieben kommunale (Solidaritäts-)Partnerschaften zwischen beiden Regionen. Weitere befinden sich zurzeit in der Anbahnung. Denn der Wie- deraufbau darf nicht erst nach Ende des Krieges beginnen. Die Ukrainerinnen und Ukrainer brauchen jetzt eine funktionierende Infrastruktur und eine wirtschaftliche Stabilisierung. Dabei sollte der Wiederaufbau auch als Chance verstanden werden, Infrastruktur und Wirtschaft nachhaltig und zukunftsfest zu gestalten.
Der Landtag erkennt die Reformanstrengungen der Ukraine in derart schwierigen Zeiten an und ermutigt sie, diesen Weg fortzusetzen, um weitere substantielle Fortschritte im Hinblick auf die Erfüllung der Bedingungen eines EU-Beitritts zu erzielen. Nordrhein-Westfalen wird die Ukraine auf ihrem Weg in die Europäische Union weiter aktiv begleiten.
Nordrhein-Westfalen steht seit dem ersten Tag fest an der Seite der ukrainischen Bevölkerung. Erstmals in der Geschichte Europas wurde die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie aktiviert, damit Menschen aus der Ukraine schnell und unbürokratisch in europäischen Nachbarstaaten Zuflucht finden konnten. So haben über 230.000 Geflüchtete aus der Ukraine bei uns in Nord- rhein-Westfalen Schutz finden können. Städte und Gemeinden leisten einen ganz besonderen Beitrag, um die Menschen gut unterzubringen und zu unterstützen. Die Landesregierung hat kurz nach dem Überfall die Initiative „NRW hilft der Ukraine“ ins Leben gerufen. Von Beginn an wurden wöchentlich medizinische Hilfsgüter im Rahmen dieser Initiative bereitgestellt. Auch zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine arbeiten unermüdlich daran, Hilfsgüter zu den vom Krieg betroffenen Menschen in die Ukraine zu bringen. Seit Kriegsbeginn wurden darüber hin- aus knapp 300 Patientinnen und Patienten aus der Ukraine in nordrhein-westfälische Kran- kenhäuser verlegt. Unser Dank gilt den Einrichtungen, ihren Beschäftigten sowie den zahlrei- chen Akteurinnen und Akteuren aus der Zivilgesellschaft und den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, ohne deren unermüdlichen Einsatz das Engagement Nordrhein-Westfalens für die Ukraine und ihre Menschen in diesem Ausmaß nicht möglich wäre.
Zu Beginn des dritten Kriegsjahres bleibt die Solidarität der Menschen in Nordrhein-Westfalen mit der Ukraine und ihren Menschen ungebrochen. Nordrhein-Westfalen leistet seinen Beitrag dafür, dass die Ukraine weiterhin imstande ist, sich gegen die Aggression Russlands zu ver- teidigen.‘
- II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:
- Der Landtag von Nordrhein-Westfalen verurteilt die andauernde Aggression Russlands gegen die Ukraine, die einen eklatanten Völkerrechtsbruch darstellt, auf das Schärfste. Russland wird aufgefordert, die Angriffe sofort einzustellen und sich aus den besetzten Gebieten in der Ukraine zurückzuziehen.
- Der Landtag von Nordrhein-Westfalen spricht den Ukrainerinnen und Ukrainern sein tiefstes Mitgefühl und Beileid aus für das erlittene Leid, den Verlust geliebter Menschen, für Verletzungen und Vertreibungen. Die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Da- bei muss ein besonderes Augenmerk auf der systematischen sexuellen konfliktbasierten Gewalt sowie auf systematisch geplanter Kindesentführung liegen.
- Der Landtag erachtet es für notwendig, dass die militärische und humanitäre Unterstüt- zung der Ukraine auch durch die Europäische Union und die Bundesregierung fortge- setzt und ausgebaut wird. Er beauftragt die Landesregierung, sich dafür weiter auf Bun- desebene sowie auf europäischer Ebene einzusetzen.
- Nordrhein-Westfalen steht fest an der Seite der Ukraine und unterstreicht deren Recht auf territoriale Unversehrtheit, Unabhängigkeit und Souveränität.
- Der Landtag begrüßt die vom Europäischen Rat beschlossene Aufnahme von Beitritts- verhandlungen der Europäischen Union mit der Ukraine. Nordrhein-Westfalen will die Ukraine auf dem Weg in die Europäische Union aktiv begleiten und die Ukrainerinnen und Ukraine tatkräftig dabei unterstützen, eine Zukunft in der Europäischen Union, in Frieden, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für sich zu sichern.
- Die akute Direkthilfe für die Oblast Dnipropetrowsk soll aufrechterhalten werden. Dar- über hinaus sollen thematisch fokussierte Kooperationen in Politikfeldern wie Energieef- fizienz, Digitalisierung und transparente Verwaltungsstrukturen angebahnt werden, die die Oblast beim Wiederaufbau und auf dem Weg in die Europäische Union unterstützen.
- Die Zusammenarbeit, auch die französisch-deutsch-polnische, ist ein wichtiger Baustein unserer demokratischen europäischen Tradition. Sie gilt es zu stärken.
- Nordrhein-Westfalen bietet Geflüchteten aus der Ukraine weiterhin Zuflucht und gewähr- leistet ihnen eine sichere Unterbringung und Versorgung. Der Landtag spricht unseren Kommunen seinen großen Dank für die Arbeit aus, die diese hier täglich leisten.
- Der Landtag begrüßt, dass sich viele Menschen in Nordrhein-Westfalen auf vielfältige Weise, auch ehrenamtlich, für vom Krieg in der Ukraine betroffene Menschen einsetzen. Ihnen gebührt unser Dank für ihr unentbehrliches Engagement.
Thorsten Schick
Matthias Kerkhoff Christina Schulze Föcking Romina Plonsker André Kuper |
Jochen Ott
Ina Blumenthal Rainer Schmeltzer Alexander Vogt Inge Blask Josef Neumann Rodion Bakum |
Wibke Brems Verena Schäffer Mehrdad Mostofizadeh Berivan Aymaz | Henning Höne
Marcel Hafke Dr. Werner Pfeil Christof Rasche |
und Fraktion |
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